Liebeslist.

Eine heitere Geschichte von Paul Bliß.
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 23.10.1898,
in: „General-Anzeiger für Chemnitz und Umgegend” vom 23.10.1898


Frau Melanie Burghoff, eine noch jugendlich frische Wittwe von fünfunddreißig Jahren, hörte aufmerksam zu, was der Justizrath Mellenthin, ihr geschäftlicher Berater, ihr so eindrücklich vortrug.

Mellenthin, ein Vierziger, rüstig und elastisch, sprach mit ernster, beinah mahnender Stimme: „Ich kann Ihnen nur das Eine sagen, gnädige Frau, wenn Sie fortfahren, das Geld so leicht herzugeben, dann richten Sie erstens sich selber zu Grunde, zweitens aber erweisen Sie Ihrem Schützling damit nicht nur keinen Dienst, sondern Sie gewöhnen ihn immer mehr an ein Bummelleben, in dem er körperlich und seelisch zu Grunde gehen muß.”

„Aber, Lieber Freund, gehen Sie in Ihrem Eifer nicht doch ein bischen zu weit, wenn Sie solche Befürchtungen aussprechen?”

„Ganz und gar nicht, meine Gnädigste! Die Thatsachen sprechen ja für mich. Rekapitulieren wir doch. Ihr Neffe ist heute fünfundzwanzig Jahre. Jeder maßgebende Künstler hält ihn für ein hervorragendes Talent, mehr noch, für einen genialen Kerl. Und was hat er bisher geschaffen? Das eine Bild, das ihm den Namen gemacht hat. Damals hat die ernste Kritik ihm gerathen, an sich selber fleißig zu arbeiten, sich auszureifen. Und da mußten Sie auf die unheilvolle Idee kommen, ihm mit überreichlichen Geldmitteln helfend beizuspringen.”

Frau Melanie schwieg. Sie wußte, daß ihr Beirath nur zu Recht hatte. Voll Sorgen sah sie hinaus in die Landschaft. Die Sache ging ihr ernsthaft nahe, denn sie wollte die Zukunft ihres Schützlings sichergestalten. Wie aber sollte man das anfangen?

Nach einigen Minuten erhob sich der Justizrath: „Also, gnädige Frau, lassen Sie sich den Thunichtgut kommen und halten Sie ihm mal eine ernste, eindringliche Rede; vielleicht ist er doch noch auf den rechten Weg zu bringen.”

Als er ihr dann zum Abschiede die Hand küßte, bemerkte sie ganz deutlich, daß seine Finger zitterten.

Erstaunt, mit offenen, ehrlich fragenden Blicken sah sie ihn an. „Lieber Freund, was ist Ihnen?” Und da sah auch er sie an, einen Moment nur, dieser Moment aber zeigte ihr ein Paar Augen, aus denen eine tiefe, verhaltene Wehmuth klagte, so daß sie beschämt und erschrocken die Blicke niederschlug.

Die ganze Situation dauerte kaum eine Minute.

Dann hatte er alle Ruhe und Haltung wiedergewonnen, sah sie mit freundlichem, ruhigem Lächeln an und sagte: „Ah, mir ist gar nichts, vielleicht bin ich ein wenig nervös, denn ich habe in den letzten Wochen viel gearbeitet.”

Auch sie hatte ihre Beherrschung wieder. Sie nickte ihm freundlich zu, sagte ein paar gut gemeinte Worte und entließ ihn dann; aber so sehr sie sich auch zusammen nahm, in ihrer Stimme zitterte die Erregung dennoch wieder, die noch jetzt an ihrer Seele rüttelte.

Und ihre Gedanken trugen sie weit fort von hier, zurück in die Heimath, in die sonnigen Gefilde der Mark, in die stillen Kiefern- und Buchenwälder mit den einsamen Seen, an denen es sich so schön träumen und die ganze Welt vergessen läßt.

Zehn Jahre und länger war das her, da war sie ein flottes lustiges Mädel, das noch nichts von der Welt wußte, und da war es gewesen, als sie mit dem Rechtsanwalt Mellenthin bekannt geworden war. Er hatte ihr damals den Hof gemacht und sie hatte es sich auch ganz gern gefallen lassen, denn die stattliche, männlich-schöne Erscheinung gefiel ihr, und der Blick, der, so ernst er auch immer war, dennoch so hülflos traumverloren werden konnte, zog sie an — es lag etwas in der ganzen Erscheinung des Mannes, das sie fesselte und sie interessirte. So waren sie bald gute Freunde geworden. Sie verlebten einen herrlichen Sommer zusammen, tanzten, sangen, spielten Reifen und Croquet und amüsirten sich herrlich dabei. Dann kam der Herbst. Eine entfernte Verwandte aus der Großstadt nahm sie zu sich. Dort kam sie in die große Gesellschaft, lernte den Kaufmann Burghoff kennen und ein halbes Jahr später war sie seine Frau. Es war keine Liebesheirath, aber es wurde eine glückliche Ehe. Acht Jahre später starb ihr Mann, hinterließ ihr sein ganzes Vermögen und nun war sie vierunddreißig Jahre und wieder frei.

Da führte sie der Zufall wieder mit Mellenthin zusammen. Auch er hatte sein Glück gemacht, aber nicht durch Heirath, sondern durch Fleiß, Intelligenz und Energie. Sein Haar war bereits stark ergraut, und manche Falte im Gesicht sprach für seine Lebenserfahrung, aber sein Blick war noch der gleiche, dieselbe Kraft und auch jetzt oft noch die gleiche Traumverlorenheit wie damals.

Aufrichtig hatte sie sich gefreut, ihn wiedergefunden zu haben; mit kräftigem Händedruck hatte sie ihn willkommen geheißen und ihn „ihren lieben alten Freund” genannt. Und so hatten sie denn auch nahezu ein Jahr miteinander verkehrt, immer war er ihr ein treuer Berather gewesen, nie aber hatte er etwas merken lassen, daß in seinem Herzen eine wohlverborgene Zuneigung für sie glühte.

Heute zum ersten Male hatte sein Blick ihn verrathen, freilich auch nur für einen kurzen Moment, aber dieser Moment genügte, ihr zu zeigen, wie es in seinem Herzen aussah — — —

Noch immer blickte sie träumend und sinnend in die blaue Frühlingsluft hinaus.

Draußen stand Alles in voller Blüthe. Der ganze Blumenschmuck der ersten Sommertage zierte den Garten. Und ein lauer Windhauch trug süße Wohlgerüche zu ihr herein. Leben athmete Alles, Leben, Kraft und Fülle, wohin das suchende Auge irrte.

Und da kam es plötzlich über sie wie eine nie gekannte Freude — da war es, als thäte sich vor ihr ein fremdes Land auf, — ein Leben voll Glück und Sonnenschein, voll Freuden und Genuß, wie sie es vorher niemals durchkostet hatte, — und so im übergroßen Glück faltete sie die Hände und ganz leise flüsterte sie: „Ach, lieber Gott, laß mich dies Glück doch finden!”

*           *           *

Am nächsten Morgen berief sie ihren Neffen, den jungen Maler Kurt Steinitz zu sich.

Pünktlich um elf Uhr erschien er auch. Ein flotter, fescher Bursche mit blitzenden, braunen Augen und keckem Bärtchen.

„Liebe Tante, Du hast befohlen. Da bin ich.” Er küßte ihr galant die Hand, warf Hut und Mantel hin und ließ sich ziemlich ungenirt in einen der Polsterstühle fallen.

Frau Melanie machte ein so ernstes und würdevolles Gesicht, wie es ihr nur möglich war.

„Mein lieber Kurt,” begann sie mit fester Stimme, „ich habe Dich kommen lassen, um Dir zu sagen, daß dies Leben, wie Du es führst, mir nicht behagt.”

Der junge Mann erschrak und sah sie mit ganz erstauntem Gesicht an.

„Aber selbstverständlich, liebe Tante, werde ich wieder arbeiten,” stotterte der Jüngling verwirrt, „und zwar sehr bald sogar; ich habe allerdings ein wenig flott gelebt, das ist wahr, aber du lieber Himmel, ich bin doch kein Philister, und Jugend will doch austoben; — aber trotz alledem habe ich fleißig Studien gemacht und bereits in vier Wochen sollst Du mein neues Bild bewundern können.”

„Ich glaube Dir, Kurt, und ich bitte Dich im Namen Deiner seligen Mutter, halte Dein Versprechen!”

Jetzt lief er zu ihr hin, küßte ihr wiederholt die Hand und versprach alles Mögliche; als es aber zum Abschiednehmen kam, bat er stotternd und erröthend: „Noch einmal, Tantchen, ein einziges Mal noch, gieb mir dreihundert Mark. Ich brauche sie dringend nothwendig!”

Und Frau Melanie gab ihm drei blaue Scheine und sagte nur: „Aber halte Dein Wort!”

Jubelnd umfaßte er sie, versprach Alles, und rannte glückselig fort.

Sie aber schrieb dem Justizrath, daß sie seinem Rath gefolgt sei, und lud ihn zu einer Tasse Tee.

Den ganzen Tag freute sie sich darauf, ihn wieder zu sehen. — Oh, jetzt wollte sie ihm schon zeigen, daß sie ihn verstanden hatte. — Auf den ersten Blick mußte er es ja sehen, welche Veränderung seit gestern mit ihr vorgegangen war! — Ganz kindisch freute sie sich darauf, ihm wieder in die Augen zu sehen.

Als aber der Nachmittag da war, kam ein Billet von ihm — er entschuldigte sich — ein wichtiger Fall, der ihn nicht fortkommen ließ.

Enttäuscht sah sie auf die Zeilen.

Nein, diese Ausrede glaubte sie ihm nicht! er wollte einfach deshalb nicht kommen, weil er sich eine Blöße gegeben hatte, das war ihr ganz klar.

Und sie lächelte.

Gut. So würde sie warten, bis er von selbst wieder kam.

Am neunten tage endlich kam ein Brief von ihm.

Er theilte ihr mit, daß ihr Neffe Kurt seit sechs Tagen in Wiesbaden sei, wo er einer Schauspielerin allzu auffallend den Hof machte, daß er im Hotel und beim Juwelier bereits für nahezu tausend Mark Schulden gemacht habe und daß es hohe Zeit sei, ihn zurückzuholen.

Frau Melanie war empört.

Kurz entschlossen ließ sie packen und reiste in Begleitung ihrer Gesellschafterin nach Wiesbaden.

Als Kurt sie sah, erschrak er dermaßen, daß er gar nicht Worte fand, sie zu begrüßen.

Und kurz heraus sagte sie ihm nun tüchtig ihre Meinung.

„Du hast Dein Wort nicht gehalten. Ich werde jetzt noch einmal Deine Schulden hier bezahlen, damit Du nach Hause zurück kannst, und dann sieh' zu, wie Du allein fertig wirst. Ich habe auch an mich zu denken und kann mich Deinetwegen nicht ruiniren.”

Er aber spielte nun den reuigen Sünder und den liebenswürdigen Schwerenöther und bat und bettelte mit so viel zärtlichen Schmeichelworten, bis die erste Erregung der Frau Tante vorüber war und sie halb ärgerlich, halb lächelnd, ihm versprechen mußte, daß sie ihm nicht mehr so ernstlich böse sein würde. Und immer auf's Neue gelobte er, sich jetzt wirklich bessern zu wollen.

In einem Punkte aber blieb die Tante fest: „Thu', was Du gelobst, dann darfst Du wieder auf mich und meine Kasse rechnen, früher nicht.&rqduo;

Er aber nahm das noch nicht ernst, lachend rief er aus: „Aber, bestes Tantchen, was willst Du allein denn mit Deinem vielen Gelde anfangen? Das kannst Du allein doch niemals verbrauchen!”

Ernst und schweigend sah Frau Melanie ihn an. Steht es so mit Dir! dachte sie, — nun warte nur, jetzt will ich Dir mal einen Schreck einjagen! Und laut sagte sie dann:

„So laß Dir denn sagen, daß ich kurz vor der Verlobung stehe, und daß ich es meinem zukünftigen Manne schuldig bin, mit gut geordneten Vermögensverhältnissen zu ihm zu kommen. So, nun weißt Du, warum ich mit Dir so ernst gesprochen habe.”

Der junge Mann war vollständig rathlos. Alles Andere, nur das hatte er nicht erwartet. Nun hieß es also: Halt mnachen und wirklich ernsthaft wieder an die Arbeit zu gehen. Diese Wandlung vollzog sich im Augenblick mit ihm. Nicht ein Wort sagte er darüber, aber innerlich war es ihm zum festen Vorsatz geworden, nun keine Gelder mehr anzunehmen, nicht einem fremden Manne verpflichtet zu sein, sondern mit eigenen Händen sein Brot zu verdienen. Noch einmal dankte er der Tante, dann empfahl er sich und reiste zurück nach Hause.

Die Tante blieb noch ein paar Tage in Wiesbaden. Aber an den Justizrath schrieb sie gleich einen langen Brief, daß sie den Ausreißer eingeholt, ihn nach Hause geschickt, und ihn nun wohl ein für alle Mal auch gebessert habe.

Sie war froh, daß ihr Plan so gut gelungen war, und in der Hoffnung auf eine glücklich Zukunft verlebte sie nun noch ein paar schöne sonnige Tage am grünen Rhein, und fuhr dann über Koblenz zurück nach Hause.

Ihre erste That war, sich nach dem Neffen zu erkundigen. Und da erfuhr sie, daß der junge Mann fleißig in seinem Atelier arbeite. Sie war zufrieden, störte ihn aber nicht.

Dann ging sie zum Justizrath. Als seine Klientin konnte sie das thun.

Er empfing sie sehr herzlich und zuvorkommend.

„Also Sie haben es wirklich fertig gebracht, den Wildfang wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen?” fragte er lächend.

Triumphirend nickte sie, zwinkerte dabei aber mit den Augen, als wolle sie ihr Geheimniß andeuten.

&bdqo;Wie haben Sie das nur fertig gebracht?”

Fest blickte sie ihn an,dann entgegnete sie: „Ich habe ihm gesagt, daß er nicht mehr auf mich rechnen dürfe, weil ich kurz vor meiner Verlobung stünde.”

Einen Moment zuckte er zusammen, dann aber sah er sie ruhig fragend an und sagte höflich, verbindlich: „Sie sind ja Herrin Ihrer Hand, gnädige Frau, Sie brauchen ja Niemanden zu fragen.”

Immer heiterer wurde sie. Fast übermütig rief sie: „Und Sie gratuliren mir nicht mal? Und Sie fragen nicht einmal, wer ed ist?”

Und wieder zuckte er die Schultern und diesmal sichtlich verlegen entgegnete er: „Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich so alle — hm — ja, — aber Sie überrumpeln mich da mit einer Neuigkeit — hm — ja —, also meinen herzlichsten Glückwunsch!” und er legte sepne heiße zitternde Hand in die ihre und versuchte es, sie mit einem ruhigen Blick anzusehem.

„Aber, lieber Freund,%rdquo; rief sie jetzt, „sind Sie denn so blind geworden? oder wollen Sie noch immer nicht sehen? — Ich stehe hier vor Ihnen, reiche Ihnen beide Hände hin — und Sie nehmen sie noch immer nicht? Ja, wem anders sollte ich mich denn versprochen haben —!?” und jubelnd streckte sie ihm beide Arme entgegen.

Da kam es wie eine Erleuchtung über ihn. Die ganze Welt erschien ihm plötzlich wie ein Meer von lachenden Sonnenfluthen und vor seinen Ohren erklangen Töne von himmlischen Freudenfanfaren. Es war ihm, als würde er urplötzlich in eine niegekannte Welt von Glück und Lust versetzt.

Und so erfaßte er ihre Arme und zog ihren Körper an sich uns preßte ihren Kopf an seine Brust und flüsterte miz leiser, zarter Stimme: „Ach, Melanie, ich hab' Dich ja immer so lieb, so unsagbar lieb gehabt!”

*           *           *

Zwei Monate später war sie eine glückliche Justizräthin.

Und zwei Monate später hatte auch Kurt Steinitz sein neues großes Bild vollendet; er hatte sich zurückgefunden in seine Kunst und lernte nun erst die Wohlthat einer ernsten Thätigkeit richtig schätzen.

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